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Wildes Ruhrgebiet

Zeche Zollverein

Im Sommer war endlich einmal viel Zeit, um meine alte Heimat, das Ruhrgebiet, zu besuchen. Naturgemäß stehen bei den Familienbesuchen, die selten genug möglich sind, andere Dinge im Vordergrund als Fotografieren, trotzdem mussten natürlich einige kleine Ausflüge sein. Dabei interessierten mich vor allem zwei Ausstellungen: Industrie-Insekten auf der ehemaligen Henrichshütte – über das überraschend reichhaltige Insektenleben auf Industriebrachen, und Wildes Ruhrgebiet auf der ehemaligen Zeche Zollverein, initiiert von einer Gruppe von Wildlife-Fotografen mitten im Ruhrgebiet. Das Fotografieren von Wildtieren im urbanen Gelände ist inzwischen eine eigene Disziplin geworden, neudeutsch Urban Wildlife genannt. Es ist wirklich erstaunlich, wie viele Tierarten im Stadtgebiet zu finden sind und teilweise hier Nischen zum Überleben gefunden haben. Von den Wiener Friedhofs-Hamstern war in diesem Blog ja schon einmal die Rede. Die engagierten Fotograf*innen von Wildes Ruhrgebiet haben es sich zur Aufgabe gemacht, zu dokumentieren, was alles in dieser dicht besiedelten ehemaligen Industriezone lebt und werben für ein verständnisvolles Miteinander von Mensch und Tier.

Klar war das Inspiration für mich, auch auf Foto-Streifzug zu gehen! Zumal rund um mein Elternhaus, im Grenzgebiet zwischen Essen und Mülheim, buchstäblich Fuchs und Hase sich vor unserer Haustür begegnen – ja sogar Dachse fing die Wildkamera auf dem Nachbarsgrundstück schon ein!

Verschwunden sind dagegen Kiebitze, Rebhühner und Fasane, die in meiner Kindheit noch täglich auf den umgebenden Feldern zu sehen waren. Sie sind wie überall Opfer der modernen Landwirtschaft geworden und man kann nur hoffen, dass diese Arten überleben und zukünftig vielleicht wieder bessere Lebensmöglichkeiten finden. Nicht mehr da sind auch die Kaninchen, früher zahlreich in den Feldern und Gärten, bis irgendwann wohl eine Seuche sie ausrottete. Dafür gibt es sie aber andernorts im Ruhrgebiet mehr als häufig und ich konnte sie an verschiedenen Orten beobachten – beispielsweise am hellichten Tag sonnenbadend in dem riesigen Parkgelände der Gruga.

Bei uns vor der Haustür gibt es inzwischen Pferdeweiden statt Feldern und dort fühlen sich nun Feldhasen und Rehe wohl. Allerdings dauerte es eine ganze Zeit, bis ich die Hasen entdeckte – sie sind eben wirklich gut getarnt! Meistens sieht man bestenfalls etwas Braunes zwischen den Grashalmen. Bemerkt Meister Lampe etwas, was er für verdächtig hält, versucht er, sich einen Überblick zu verschaffen, und so kann man mit Glück auch den Kopf aus dem Grasmeer auftauchen sehen, bevor er sich dann meist entschließt, die Flucht anzutreten. Dass Hasen eben wirklich vielen Bedrohungen ausgesetzt sind, sieht man an Exemplaren, deren zerfetzte Ohren von misslungenen Greifvogelattacken erzählen.

Ja, natürlich gibt es auch sie, die Mäusebussarde, auch Turmfalken und Graureiher sind vielleicht einmal Feinde von Junghasen. Und natürlich gibt es neben den Greifen auch viele andere Vögel, die in den alten Gärten mit vielen „wilden“ Ecken Platz für die Aufzucht des Nachwuchses und Nahrung finden – zur Freude der menschlichen Beobachter.

Wo es in den alten Gärten grünt und blüht, sind natürlich auch Insekten nicht weit. Die Hummeln lieben die großen Oregano-Büsche, auch in Nachtkerzen und all den anderen Blüten tummeln sie sich. Am Wegrand blühen Mohn, Hirtentäschel und Kamille, hier haben die Schwebfliegen ihr Reich.

Und schließlich sind da noch die Rehe – „Feldrehe“, die sich an die von Menschen geprägte Landschaft angepasst haben, kennt man inzwischen ja, aber „Gartenrehe“?? Eine Ricke mit zwei Kitzen hat sich ganz in der Nähe der Häuser niedergelassen, wohl ahnend/ wissend, dass sie hier Schutz findet. Die Bewohner beobachten die Rehe, die sich inzwischen kaum mehr stören lassen von den Menschen, mit Wohlwollen und nehmen seufzend auch in Kauf, dass gelegentlich auch Rosen als Reh-Delikatesse herhalten müssen.

Aber nun zu meinen Ausflügen. Die Route der Industriekultur spült inzwischen eine gute Anzahl von Touristen ins Ruhrgebiet, viele ehemalige Industriestätten sind nun Museen und erzählen von den riesigen Mengen von Kohle und Stahl, die früher hier produziert wurden. Die Henrichshütte in Hattingen ist eine ehemalige Hochofenanlage: einer der gigantischen Stahltöpfe ist längst abgebaut und nach China verkauft, der andere aber ist als Museum begehbar, lässt einen die riesigen Dimensionen der Stahlöfen erfahren, und man bekommt einen leisen Eindruck der schweren, gefährlichen Arbeit, die hier in Hitze, Staub, Lärm und Rauch geleistet wurde.

Im historischen Teil der Gebläsehalle besuche ich die Ausstellung IndustrieInsekten (noch bis 15. Oktober, empfehlenswert!), die nicht nur sehenswerte Fotos bietet, sondern auch viele Hintergrundinformationen. Hier kann ich auch die Blauflügelige Ödlandschrecke „fotografieren“ – das Bild passt erstaunlich gut in diese vermeintlich naturfeindliche Umgebung. Seit ein paar Jahren ist diese Art, die eigentlich typisch für Mittelmeerregionen ist, auf diversen Halden heimisch und schon fast so etwas wie ein Symboltier der Ruhrgebietsnatur. Draußen im Freigelände fühlen sich viele Vögel wohl, allen voran der allgegenwärtige Hausrotschwanz, der als ehemaliger Felsbewohner die unzähligen Nischen in den Ziegelbauten liebt. Einer sonnt sich genüsslich auf einem rostigen Kesselwagen und spreizt seine von der Mauser etwas strapazierten Flügel.

Aber auch Ringeltauben (Tauben in allen Varianten gehören einfach zum Ruhrgebiet) und Elstern kann ich entdecken – und sicher gäbe es mit mehr Zeit noch sehr viel mehr!

Einige Tage später besuche ich einen Foto-Vortrag auf Zollverein, und gehe im Anschluss, ganz inspiriert, selbst auf Fotojagd. Leider sehe ich die Wanderfalken nicht, nur ein paar gerupfte Taubenfedern zeugen von ihrer Gegenwart, aber dafür beobachte ich lang eines der Turmfalkenpaare, sehe natürlich die üblichen Tauben und Rotschwänzchen und schaue schließlich amüsiert einem Neubürger, der sich hier pudelwohl fühlt, der Nilgans, beim Grasen im Klee zu. Daneben bestaune ich natürlich auch die architektonische Meisterleistung von Fritz Schupp (und überlege, ob meine frühere Lehrerin mit gleichem Familiennamen wohl mit ihm verwandt war…?)

Vielleicht ist ja beim nächsten Mal mehr Zeit – ich freue mich schon auf neue Beobachtungen!

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